Shambhala - Mythos oder Wirklichkeit?

Die Diskussion um das Reine Land Shambhala und die Mythen Shangri-La und Tibet findet seit langer Zeit in wissenschaftlichen und politischen Kreisen statt. Für die spirituelle Praxis im tibetischen Buddhismus, insbesondere auch des Kalacakra-Tantra, ist sie von untergeordneter Bedeutung. Denn hier geht es um das Erreichen der Vollkommenheit eines Buddhas mit Hilfe von Weisheit und Methode. Als Methode dienen im Tantra besondere Meditationen wie der Gottheiten-Yoga und die Übung reiner Wahrnehmungen. Shambhala ist für die tibetischen Meister, die das Kalacakra-Tantra praktizieren, vor allem ein Reines Land, in das fortgeschrittene Yogis und Yoginis gelangen können, um dort den tantrischen Pfad zu vollenden. In dieser Hinsicht unterscheidet es sich nicht von anderen Reinen Ländern wie Sukhavati.

In den tantrischen Schriften wird auch beschrieben, wo das Tantra gelehrt wurde. Buddha Shakyamuni hat in Indien viele Belehrungen gleichzeitig gegeben. So heißt es, dass er in Rajagriha Belehrungen über die Vollkommenheit der Weisheit gab, während er gleichzeitig in Südindien einem Shambhala-König das Kalacakra-Tantra lehrte. Zu diesem Zweck ist er dort in Gestalt der Kalacakra-Gottheit in Vereinigung mit seiner Gefährtin erschienen. Auch in verschiedenen Götterbereichen hat er tantrische Belehrungen gegeben, zum Beispiel im Bereich der "Dreiunddreißig" und im "Freudvollen Land". Außerdem heißt es, der Buddha habe an verschiedenen Naga- und Yaksha-Orten und auch innerhalb dieser Welt, die Jambudvipa genannt wird, an Plätzen wie Oddiyana und so weiter spezielle tantrische Unterweisungen gegeben.

Shambhala, auf Deutsch "Quelle des Glücks", ist der Name eines sagenumwobenen Landes, das erstmals in der frühen Hindu- und Buddhismus-Literatur genannt ist. Historisch erscheint die Ortsbezeichnung "Shambhala" erstmals in dem prophetischen Hindu-Mythos von Kalki im Mahabharata-Epos und in der epischen Literatur der Puranas. In Hindu-Texten ist Shambhala der Name eines Brahmanendorfes, das der Geburtsort von Kalki, künftiger Welterlöser und zehnte Inkarnation des Vishnu, sein wird.

John Newman, der 1987 in Wisconsin-Madison in Buddhistischen Studien über das Kalacakra-Tantra promovierte, sagt, der auf Vishnu bezogene Mythos von Kalki sei von Autoren der indisch-buddhistischen Tantra-Literatur des Kalacakra (Zeitenrad) entliehen und adaptiert worden. In den buddhistischen Kalacakra-Texten wird Shambhala jedoch nicht mehr als bloßes Dorf beschrieben, sondern als ein mächtiges Königreich in der Mitte eines Imperiums, bestehend aus 96 großen Ländern und mehr als einer Milliarde Dörfern. Die Texte schildern es als die Heimat einer langen Dynastie von Bodhisattva-Königen, bekannt als Kalkin.

Einer Prophezeiung zufolge soll am Ende des Kali-Zeitalters der letzte, 25. buddhistische Kalkin, Raudra Cakrin, die Armee von Shambhala in einen "Großen Krieg" führen und "die Barbaren" besiegen (Cabezon/Jackson 1996, 485-499). Historisch-kritisch betrachtet muss man davon ausgehen, dass das Kalacakra-Tantra erst zur Zeit der islamischen Invasion Nord-West-Indiens Anfang des 11. Jahrhunderts verfasst wurde. Newman nimmt an, dass der indisch-buddhistische Mythos von Shambhala teilweise als Reaktion auf die aktuelle Lage, das heißt die massive Zerstörung buddhistischer Stätten in Indien geschaffen wurde.

Ob Buddhisten auf Grund der historischen Fakten nun weiterhin annehmen, dass das Tantra vom Buddha selbst zu seinen Lebzeiten gelehrt, über Jahrhunderte mündlich tradiert und später schriftlich niedergelegt wurde oder dass es erst im 11. Jahrhundert durch eine mystische Begegnung mit Kalacakra entstanden ist, macht für die Praxis keinen Unterschied. Aus Sicht des Historikers muss man aber heute davon ausgehen, dass das Kalacakra-Tantra das letzte in Indien entstandene Tantra war und bisher der einzig bekannte Sanskrit-Text ist, in dem die Existenz des Islam offiziell bemerkt wird. Darauf weist Newman wie früher auch schon Winternitz in seinem Aufsatz Islam in the Kalacakra Tantra (1998) hin.

Das Reine Land, in dem der Dharma blüht
Erstaunlich ist, dass es im Zusammenhang mit dem Shambhala-Mythos sogar tibetische "Wegbeschreibungen" oder "Reiseführer", auf Tibetisch "Lamyig" (lam yig), gibt, die Turrell V. Wylie als "religiöse Geografie" bezeichnet und Newman im Einzelnen auflistet. Die meisten beschäftigen sich mit Pilgerreisen. Zu der Frage, ob Shambhala wirklich existiert und wenn ja, wo und ob in dieser Welt oder in einer anderen, gibt es zahlreiche Interpretationen und Theorien. Die indische Kalacakra-Literatur, so Newman, macht klare Ortsangaben zu Shambhala. Danach liegt es nördlich von Indien und dem Shita Fluss, den er als Tarim-Fluss in Ost-Turkestan identifiziert, und auf einem Breitengrad nördlich von Tibet, Khotan und China. Wenn Shambhala also nördlich von China und nördlich vom Tarim-Fluss liegt, dann müsse es in der nördlichen Region des Tienschan (Tian Shan) liegen, einer rund 2500 Kilometer langen Hochgebirgskette in Zentralasien (Kasachstan, Kirgisien, China).

Während im Westen Tibet als das geheimnisvolle Land Shambhala angesehen worden ist, haben die Tibeter ihr heiliges Land an einem anderen Ort gesucht, so Bernbaum in seinem Werk Der Weg nach Shambhala (Hamburg: Papyrus 1982). Tibetische Texte verweisen auf ein irgendwo nördlich von Tibet hinter Schneebergen versteckt liegendes Königreich. Dort bewacht eine Dynastie erleuchteter Könige die geheimsten Lehren des Buddhismus während einer Zeit, in der die Wahrheit durch Krieg und die Gier nach Macht und Reichtum von der Welt verschwunden sein wird. Dann wird - gemäß der Prophezeiung - der zukünftige König von Shambhala mit einer mächtigen Streitmacht erscheinen, um "die Mächte des Bösen" vernichtend zu schlagen und ein "Goldenes Zeitalter" einzuleiten. Unter seiner erleuchteten Herrschaft wird die Welt schließlich ein Ort des Friedens und des Wohlstands werden, durchdrungen von den Schätzen der Weisheit und des Mitgefühls. Nur jene, die dazu berufen sind und die notwendigen geistigen Voraussetzungen besitzen, können nach Shambhala gelangen.

Obwohl Shambhala im tibetischen Volksbuddhismus vielfach als Götterhimmel betrachtet wird, halten viele Lamas es für ein Reines Land, so Bernbaum, also für ein Buddha-Land, eine Art von Paradies für jene, die sich auf dem geistigen Weg befinden. Es soll das einzige Reine Land sein, das auf dieser Erde existiert. Auch der Dalai Lama habe ihm gegenüber geäußert, dass Shambhala eine materielle Existenz besitze und auf dieser Welt angesiedelt sei.

In beiden Traditionen, der indischen wie der tibetischen, sei Shambhala Zielort und Fokus eschatologischer Vorstel-lungen, so Oppitz in seiner Semiologie eines Bildmythos. In der buddhistischen Tradition würden die "feindlichen Barbaren" vorzugsweise mit den Muslimen gleichgesetzt, in der indischen je nach dem, wann die Texte eingeschoben wurden, mit den Mlecchas, den Dasyas, den Shudras, ja selbst mit den Buddhisten. Im indischen Raum würden die Schriften, in denen der Mythos von Kalki Erwähnung findet, über eine Zeit von weit mehr als tausend Jahren zurück-reichen. Sein erstes Auftauchen in einem Text gehe auf das zweite oder erste vorchristliche Jahrhundert zurück. Die einzelnen Puranas seien zum größten Teil danach bis ins 10. Jahrhundert unserer Zeitrechnung kompiliert worden, während die letzten möglicherweise im 12. oder 13. Jh. ihre endgültige Form erhalten haben.

Der Mythos und die Politik
An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert greift der Mythos nachweislich von der Literatur auf den Bereich der Politik über. Ein burjatischer Lama names Dorjijew, der als Lehrer und Ratgeber des 13. Dalai Lama am Potala großen Einfluss besaß und später am Hofe des Zaren Nikolaus II. zweimal zur Audienz geladen wurde, wusste, so Opitz, geschickt den vagen und passiven Adventismus der Shambhala-Idee zu aktivieren und mit den handfesten Interessen einer politischen Macht in Verbindung zu bringen. Dorjijew sei der Verfasser eines Pamphlets gewesen, in dem ganz offen das nordwestliche Reich Shambhala mit Russland identifiziert und der Zar als eine Reinkarnation von Tsongkapa ausgegeben worden sei. Er habe behauptet, der Zar stehe im Begriff, das erwartete buddhistische Weltreich zu errichten. Wer ein Freund des Buddhismus sei, der müsse auch ein Freund des russischen Zaren sein.

Diese Auslegung der Shambhala-Idee sei der damaligen Asienpolitik des Zaren zupass gekommen, und auch "viele Tibeter" sollen ihre Hoffnungen in sie gesetzt haben. Die Engländer hätten die russisch-tibetische Annäherung als eine Bedrohung ihrer eigenen kolonialen Interessen in Indien und Tibet verstanden. Sie habe schließlich zu der britischen Invasion in Tibet geführt, welche das schlechte Gewissen der Sprache gern zur Younghusband "Expedition" oder sogar "Mission" verharmlost habe.

1933 ist der Shambhala-Mythos schließlich in dem englischen Reise- und Utopia-Roman Lost Horizon des Engländers James Hilton zum Shangri-La-Mythos abgewandelt und 1937 in einem Hollywood-Streifen visuell umgesetzt worden. In der Folgezeit hat sich das Wort Shangri-La in der englischen Sprache etabliert, um das sich viele Mythen und Vorstellungen ranken. Kein Wunder, dass Shambhala und die ihm zugrunde liegenden Texte des Kalacakra-Tantra auch eines der Hauptthemen des Bonner Symposiums "Mythos Tibet" waren Dodin/Räther 1997).

Obwohl ein indischer Meister namens Cilupa tatsächlich nach Shambhala gereist sein soll, wird es wie ein Reines Land beschrieben, ein Ort jenseits einer gewöhnlichen Reise, ein Land, das nur denen erscheint, die viele Verdienste haben. Durch entsprechende Wunschgebete kann man dort geboren werden und die Unterweisungen der Kulikas genießen. Auch eine Initiation setzt Anlagen für eine Wiedergeburt in Shambhala nicht nur zum Zwecke der Fortführung der Praxis des Kalacakra-Systems, sondern auch, um sich unter der Obhut und dem Schutz des Kulika Rudra zu befinden. Somit sei Shambhala für viele Tibeter, Mongolen, Bhutanesen, Sikkimesen, Nepalesen und Ladhakis ein Leuchtfeuer der Hoffnung in einer Welt der Tragödie (Dalai Lama/Hopkins 1985, 65).

Der illusionäre Krieg von Shambhala
Bis zum heutigen Tag, so Newmann in seinem Aufsatz "Eschatologie im Zeitenrad-Tantra" (NEWMAN 1995), regieren die Kalkins von Shambhala in ihrem zentralasiatischen Paradies auf Erden, wo sie die Zeitenrad-Lehren vor den negativen Kräften schützen. Am Ende des jetzigen Zeitalters der Degeneration, wenn "die Barbaren" die Erde außerhalb Shambhalas überrannt haben, wird laut Prophezeiung der letzte Kalkin, Cakrin, seine große Armee versammeln und die Streitmächte des Islam zerstören. Dann wird Cakrin nach Shambhala zurückkehren, um ein neues Zeitalter der Vollkommenheit einzuleiten, in dem der Buddhismus blühen wird und die Menschen lange in Glück und Gerechtigkeit leben werden.

Der tibetische Begriff für Barbar ist "Lalo" (kla klo, mleccha). Er kann sowohl im Tibetischen als auch im Sanskrit als "Barbar" übersetzt werden. Unter den Tibetern versteht man unter einem "Lalo" allgemein jemanden, der in einem entlegenen Land lebt, was das Gegenteil von einem zentralen Land ist. In einem zentralen Land gibt es die vier Stände des Buddhas, männliche und weibliche Laien sowie Mönche und Nonnen. Länder, in denen es diese vier Stände nicht gibt, werden entlegen genannt. Ihre Bewohner sind Fremde oder, wenn man es archaisch ausdrücken will, "Barbaren". Dieser Begriff findet z.B. in der Lamrim-Literatur Erwähnung und ist dort in diesem allgemeinen Sinn zu verstehen.

Newman, der sich in seiner Arbeit aber hauptsächlich auf das "Äußere Kalacakra", also die Kosmologie, und den Shri Kalacakra-Kommentar Vimalaprabha stützt, identifiziert die "Barbaren" dort in diesem Kontext als "Muslims". Selbst der Wurzel- oder Grundtext, also das Tantra selbst, erwähnt sie, obwohl es den Islam zu Lebzeiten dem Buddha noch nicht gab. Es handelt sich hier also um ein historisches Faktum, das wir als Buddhisten nicht ignorieren können, auch wenn wir ihm für die heutige Zeit keine große Bedeutung mehr beimessen. Es ist ein Stück Geschichte dass es zu verarbeiten gilt.

Newmans Einschätzung nach waren einige frühere tibetische Gelehrte wie Bu-ston und Taranatha sich bewusst, dass im Kalacakra-Tantra von Muslimen die Rede war, während die meisten zeitgenössischen tibetischen Gelehrten es entweder nicht wissen oder es vorziehen, dies nicht zu betonen. Das ist auch mein persönlicher Eindruck. Aber natürlich kann man die Geschichte nicht rückgängig machen. Die islamische Invasion Indiens war hauptverantwortlich für die völlige Auslöschung des indischen Buddhismus. Die indischen Buddhisten haben sich der islamischen Invasion ähnlich wie die Tibeter bei der chinesischen Invasion ihres Landes 1950/51 kaum zur Wehr gesetzt. Das einzige, was sie, historisch betrachtet, der Gewalt entgegensetzen, war der Mythos des Shambhala-Krieges.

Newman weist deutlich darauf hin, dass das Kalacakra-Tantra diesen äußeren Krieg mit den Barbaren als "Illusion" beschreibt. Der Buddha habe das Kalacakra-Tantra bloß als geschicktes Mittel gelehrt, um die Loyalität der Hindu-Brahmanen zu wecken. Tatsächlich wäre der äußere Krieg einfach nur ein magisches Spiel. Durch meditative Konzentration wird Kalkin Cakrin zahllose magische Pferde aussenden, welche den Geist der Lebewesen gefangen nehmen werden. Des Weiteren wird der tatsächliche Krieg nicht im Makrokosmos - in der äußeren Welt - stattfinden, sondern im Mikrokosmos, im Körper des Praktizierenden des Kalacakra-Tantras.

Das klingt ähnlich wie das Wirken des buddhistischen Ideals eines Weltherrschers (cakravartin), wie es im buddhis-tischen Kanon beschrieben wird (Schmithausen 1996). Danach erobert ein gerechter Herrscher die ganze Welt ohne Blutvergießen, und zwar dergestalt, dass dem König ein Rad mit tausend Speichern vorauseilt, dem er mit seinem Heer folgt und dem die "Gegenkönige" sich kampflos unterwerfen. Nach Eroberung des gesamten Erdkreises regiert er gewaltlos und gerecht; da die von ihm bei der Eroberung erlassenen Moralgesetze allgemein geachtet werden, gibt es weder Verbrechen noch Strafen, und natürlich mangels Feinden auch keine Kriege.

Der Krieg gegen die Unwissenheit
Der eigentliche Krieg im Kalacakra-Tantra, so Newmann (1997), ist der Kampf zwischen den Kräften der Erleuchtung und der Unwissenheit, der den Pfad des Yogin charakterisiert. Wenn der Yogin diamantengleiche Erkenntnis (Gnosis) erlangt, die transformierende Weisheit, die das Ziel des Zeitenrades ist, überwindet er oder sie den inneren Barbarismus, der das Böse der Existenz kreiert. In der esoterischen, allegorischen Interpretation des Mythos symbolisiert der Krieg zwischen Kalkin und Islam die radikale Erleuchtung des Yogin, wobei das korrekte Verständnis der Realität die Dunkelheit der Unwissenheit vertreibt.

Es ist vom eigenen Karma abhängig, so Mullin (1991), wie Shambhala einem erscheint. Zum Beispiel wird auch ein und derselbe Fluss von Göttern als Nektar, von Menschen als Wasser, von Hungrigen Geistern als Eiter und Blut und von einigen Tieren als Lebensraum wahrgenommen. Der 3. Pantschen Lama schlägt in seinem Reiseführer nach Shambhala vor, dass es dreierlei ist: 1. ein yogischer Zustand der Erlangung von Kalacakra, 2. ein Reines Land, 3. ein tatsächlich physischer Ort. Es sei aber vor allem die Rolle eines Reinen Landes, welche die Herzen der meisten Zentralasiaten gefangen halte. Im Geist von hohen Yogis und einfachen Nomaden stehe Shambhala für einen hervorragenden Ort, an dem diejenigen, die ein klares Herz und positives Karma haben, in einer Umgebung von Glück und Erleuchtung Wiedergeburt nehmen können. In diesem Sinne eines Reinen Landes ist Shambhala für Buddhisten also kein Mythos, sondern Wirklichkeit, allerdings nur mit entsprechender spiritueller Reife erreichbar.

Michael Henss (1996, 123-136) schreibt in seinem erstmals anlässlich der Kalacakra-Initiation in Rikon (Schweiz) 1985 herausgegebenen Buch Kalachakra: In einem Interview habe S.H. der Dalai Lama die Bedeutung der Kalacakra-Einhweihung für die Erhaltung und Ausbreitung des Weltfriedens in der heutigen Zeit herausgestellt. Die Teilnahme an der Einweihung könne friedensschaffende Energien vermitteln, die in diesem Tantra vorhanden sind. Ziel dieser Lehre ist es, den Geist des Menschen von Unwissenheit und Täuschung, den Ursachen des Leidens zu befreien.

Henss zitiert S. H. den Dalai Lama auch zu der die Frage, was den Pfad des Kalacakra-Tantra ausmacht: Kalacakra ist ein tantrisches System mit mehreren einzigartigen Merkmalen. Gewöhnlich besteht das Höchste Yoga-Tantra aus zwei Gruppen: "Verborgene Tantras" wie das Guhyasamaja und "Klare Tantras" wie das Kalacakra. Das Kalacakra-Tantra ist ein sehr spezielles Tantra für diejenigen, die die richtigen körperlichen, geistigen und karmischen Voraussetzungen mitbringen. Diese besonderen Qualitäten kommen zum Vorschein, nachdem man die vorgestellten Yoga(-Tantras) der Schöpfungsphase (Erzeugungsstufe) beendet hat und man den Yoga der wahren Vollendungsphase (Vollendungsstufe) ausübt. Das Kalacakra-Tantra ist einzigartig in seiner Darstellung der sechs diese Vollendungsphase bildenden Yogas. Es ist nicht angemessen, diese Themen öffentlich darzulegen.

Die Meditation der Schöpfungsphase lässt den Geist für die Yoga-Übungen der Vollendungsphase reifen. Es werden drei Kalacakras gelehrt: das Äußere Kalacakra - die Elemente des Universums, in dem wir leben; das Innere Kalacakra - die psycho-physischen Aggregate, die Fähigkeiten der Empfindung und der Psyche der Lebewesen; das Alternative Kalacakra - der Weg der Schöpfungs- und Vollendungs-Yogas, die die beiden vorangehenden Kalacakras zu reinigen die Macht haben.

Das Äußere Kalacakra wird gewöhnlich im Zusammenhang mit unserer Erdenwelt erklärt. Wenn man über das Kalacakra-Mandala meditiert, sieht man das Innere Kalacakra als den Körper, Gesichter, Hände, Füsse usw., ebenso alle das Mandala umgebende Gottheiten, die als Symbole der Sterne, Planeten, Gestirne usw. visualisiert werden. Hieraus wird deutlich, dass Kalacakra eine besondere Beziehung zu allen Menschen dieser Erde hat. Des Weiteren wird klar, dass die Kalacakra-Lehren auf drei Ebenen operieren. Das Äußere Zeitenrad, d.h. der Kosmos, ist eine Reflektion des Inneren Zeitenrades, also der Person mit Körper und Geist. Diese formen die Basis, die durch den Erlösungsweg, der durch die Erzeugungs- und Vollendungsprozesse des Kalacakra-Vajrayoga erzeugt wird, gereinigt werden.

Seine Heiligkeit der Dalai Lama nahm im November 2001 zu einer Anfrage unserer Redaktion über seine Einstellung zum "Krieg von Shambhala" und seine Intention, warum er die Kalacakra-Initiation für den Weltfrieden gibt, wie folgt Stellung: Weil das gesamte buddhistische Tantra mit seinem Schwerpunkt auf dem Mitgefühl und dem Verständnis der Leerheit im Kalacakra-Tantra erklärt wird, haben sowohl Dsche Tongkapa als auch Bu-ston Rinpoche es als äußerst wichtig und tiefgründig erklärt. Ferner enthält es genaue Erklärungen über die Erzeugungsstufe und die Vollendungsstufe des Höchsten Yogatantra.

Dies ist der Grund, fasst sein Privatsekretär Tenzin Geyche Tethong zusammen, warum der Dalai Lama die Kalacakra Unterweisungen gibt. Seine Heiligkeit hat dem historischen Teil der Kalacakra-Unterweisungen, wo es um das Shambhala-Königreich und den Krieg von Shambhala geht, die er nicht als wichtig erachtet, entsprechend keine Beachtung geschenkt.

Auch Vesna Wallace, Assistant Professor of Religious Studies an der University of California, meint, dass der Shambhala-Krieg als Metapher angenommen werden kann. Tatsächlich würden das Kalacakra-Tantra selbst und der Vimalaprabha-Kommentar darauf aufmerksam machen, dass der Krieg von Shambhala bereits im Körper eines jeden Individuums stattfindet, mit Unwissenheit und Geistesplagen auf der einen Seite und den Tugenden, die aus der buddhistischen Praxis resultieren, auf der anderen Seite.

Je mehr die Übenden in der Praxis des Dharma fortschreiten, sind sie durch Mittel wie die Praxis des Gottheiten-Yoga von Kalacakra in der Lage, auf dem Pfad die subtilsten Bewusstseinsebenen bis hin zum Klaren Licht kontrolliert hervorzubringen und für die Meditation nutzbar zu machen und von Hindernissen zu reinigen. Dadurch wird der Frieden im Geist zunehmen, die äußere Welt wird sich gleichermaßen zu einer friedlicheren Welt entwickeln und die Gefahr eines Krieges nimmt ab. Liebe und Weisheit sind dafür wie in anderen Weltreligionen ausschlaggebend.