Wissenschaft und Buddhismus - zwei Fenster zur Wirklichkeit

Interview mit Prof. Trinh Xuan Thuan - von Michaela Doepke

Der international anerkannte Astrophysiker Professor Trinh Xuan Thuan hielt auf der wissenschaftlichen Konferenz „Unity in Duality” in München einen Fachvortrag zum Thema „Wissenschaft und Buddhismus. Zwei Welten begegnen sich.” Michaela Doepke führte aus diesem aktuellen Anlass für „Tibet und Buddhismus“ ein Interview mit dem Astrophysiker. Aus dem Englischen übersetzte Dr. Eva Hert.

FRAGE: Professor Thuan, Sie sind als Astrophysiker einer von zehn Referenten auf der wissenschaftlichen Konferenz „Unity in Duality“. Welcher Beitrag hat Sie bisher am meisten fasziniert?

ANTWORT: Am meisten beeindruckt hat mich das Thema der gegenseitigen Abhängigkeit. So sprach die Pharmakologin Candace B. Pert in ihrem Vortrag über die Abhängigkeit von Körper und Geist bzw. die Chemie des Körpers und das endokrine System. Danach fühlt man sich z.B. krank, wenn man emotional Stress hat. Und dann fand ich den Vortrag des Biologen Rupert Sheldrake sehr interessant, besonders das Phänomen der Telepathie. Es wäre sehr schön, wenn es mehr Forschungen auf diesem Gebiet gäbe.

Die akademische wissenschaftliche Welt würde solche Erscheinungen nicht akzeptieren. Ich glaube aber, dass viele Phänomene außerhalb der traditionellen Wissenschaften liegen, und ich denke, dass diese Konferenz mehr Menschen ermutigen wird, mehr über diese Dinge nachzudenken, die nicht zur traditionellen Wissenschaft gehören.

FRAGE: Wie fanden Sie die Atmosphäre bisher?

ANTWORT: Es gibt hier eine enorme Energie. Ich glaube, wir alle teilen eine gemeinsame Vision. Und die Energie war am höchsten, als der Dalai Lama im Raum war. Diese spirituelle Anwesenheit von Liebe und Mitgefühl, seine Menschlichkeit und seine Weisheit haben uns alle für eine Stunde auf ein höheres Niveau gehoben. Ich fand das außergewöhnlich.

FRAGE: Sie sind als Buddhist aufgewachsen und haben sich später den modernen Naturwissenschaften bzw. der Erforschung des Universums zugewandt. Inwieweit hat die Lehre des Buddhismus Ihre Einstellung zur Forschung beeinflusst?

ANTWORT: Wie Sie schon gesagt haben, wurde ich als Buddhist aufgezogen. Aber dann ging ich, erst 18 Jahre alt, in den Westen. Ich wollte moderne Wissenschaft studieren, die sehr streng und rational in ihren Messungen etc. ist. Dann entwickelte ich eine Leidenschaft für die Erforschung des Universums. Ich lebte zwar mit meinem buddhistischen Hintergrund, aber ich habe nie viel darüber nachgedacht, ob es eine Verbindung zwischen Buddhismus und Wissenschaft gibt. Ich kam mit meinen Studien immer weiter voran und sah die Schönheit, Harmonie und Organisation des Universums.

Das alles hat mich zu meiner ursprünglichen Philosophie zurückgeführt, und das ist der Buddhismus. Ich überlegte, wie ich die Ansichten anderer Wissenschaftler einordnen sollte. Auch fragte ich mich, was Buddha während seiner Erleuchtung unter dem Baum eigentlich gesehen hat. Ich war sehr froh, als ich Matthieu Ricard (buddhistischer Mönch; Dialog aufgezeichnet in dem Buch „Quantum und Lotus“) traf, der alles über den Buddhismus wusste, und dann konnten wir diskutieren. Eigentlich hat mich die Wissenschaft zum Buddhismus zurückgebracht, genauer die Schönheit des Universums, und so hat sich der Kreis wieder geschlossen.

FRAGE: Werden Sie wegen Ihrer Affinität zum Buddhismus von Kollegen aus der Wissenschaft angegriffen?

ANTWORT: Ja. Ich würde sagen, ich bin ein Sonderfall in der wissenschaftlichen Welt, da ich an Fragen interessiert bin, die jenseits der Wissenschaft liegen. Denn die Wissenschaft hört üblicherweise bei der Bestimmung des Phänomens auf. Sie sagt uns nicht, wie wir uns im Leben verhalten sollen, sie gibt uns keine Ethik, keine Normen. Wissenschaft kann zu guten oder schlechten Zwecken eingesetzt werden. Atomenergie (nukleare Energie) ist einerseits die Sonne, die schließlich für alles Leben auf der Erde verantwortlich ist, aber sie ist auch verantwortlich für Hiroshima und Nagasaki. Die Wissenschaft ist also ohne Ethik und Normen, also neutral.

Die meisten meiner Kollegen sind damit glücklich. Sie trennen total zwischen ihrem Leben als Wissenschaftler, dem Leben am Teleskop und ihren Sonntagsaktivitäten. Das ist ein geteiltes Leben. Für sie gibt es keine Verbindung zwischen den beiden. Einige meiner Kollegen kritisieren mich dafür, dass ich diese Schwelle überschreite. Sie sagen, ich solle bei der traditionellen Wissenschaft bleiben, denn da kann alles nachgeprüft werden.

Aber im Großen und Ganzen läuft alles recht positiv. Ich bin trotzdem ein Forscher, der exakte Wissenschaft betreibt. Ich veröffentliche in wissenschaftlichen Zeitschriften, arbeite am Teleskop und benutze es für die Erforschung des Universums. Ich versuche, öffentliche Gelder zu bekommen und wetteifere um Teleskopzeit am größten Teleskop der Welt, gehe also durch die ganz normalen Prozesse des wissenschaftlichen Arbeitens. Und da ich sehr streng in meiner wissenschaftlichen Arbeit vorgehe und die anderen Aspekte zusätzlich zu meiner wissenschaftlichen Arbeit betreibe, respektieren mich meine Kollegen.

FRAGE: Wäre es nicht wichtig, wenn Wissenschaftler und Buddhisten vor einem Dialog die Ebenen abklären würden, auf denen sie miteinander kommunizieren?

ANTWORT: Nein, dieser Meinung bin ich nicht. Für mich ist klar, dass Wissenschaft und Buddhismus zwei Fenster sind, durch die wir auf die Wirklichkeit schauen. Sie sollten sich gegenseitig ergänzen, aber man sollte sie nicht vermischen. Man kann miteinander sprechen und voneinander lernen. Das Konzept der Vergänglichkeit im Buddhismus erhellt beispielsweise meine Ansichten bezüglich des Universums. Die Atome sind nicht stabil, sondern ständig in Bewegung. Wir denken nur, etwas wäre solide, aber es bewegt sich alles. Man kann es nur nicht sehen, dass sich die Atome bewegen und überall in diesem Raum herumtanzen.

Wir sehen eben nur eine Seite der Wirklichkeit. Das färbt natürlich meine wissenschaftlichen Ansichten und mein Konzept der Welt, dass wir alle Sternenstaub und mit dem Universum verbunden sind. Wie gesagt, die eine Seite beleuchtet die andere. Die Wissenschaft sollte aber nicht angewendet werden, um den Buddhismus zu erklären und umgekehrt. Es sind eben zwei Fenster. Die Methoden der einen Seite sollten jeweils von der anderen Seite respektiert werden. Wir können einen Dialog führen und voneinander lernen. Aber die Methoden dürfen nicht durcheinander gebracht werden.

FRAGE: Der Buddhismus geht davon aus, dass das Universum seit anfangsloser Zeit existiert und es somit keinen Schöpfergott gibt. Sie als Naturwissenschaftler nehmen dagegen einen zeitlich fixierbaren Beginn der Schöpfung an, einen Urknall ohne Vorgeschichte, eine creatio ex nihilio, ein schöpferisches Prinzip. Ist dieser Standpunkt Glauben oder Wissen?

ANTWORT: Das ist keine Glaubensfrage, denn den Urknall hat es gegeben. Wir können das Universum beobachten und die Antwort herausfinden. Aus Sicht des Buddhismus gibt es keinen Anfang und kein Ende. Danach müsste Entstehen und Vergehen des Universums einem oszillatorischen Prozess unterliegen, also ein Big Bang nach dem anderen folgen, dann Ausdehnung, dann wieder Schrumpfung ohne Anfang und Ende. Wenn wir aber davon ausgehen, dass sich das Universum ewig ausdehnt, dann müsste man einen Anfang und ein Ende von Zeit und Raum postulieren, und das benötigt ein schöpferisches Prinzip.

Wenn ich durch mein Teleskop ins Universum schaue, dann sehe ich, dass die Dinge nicht zufällig sind. Es gibt sogar erstaunlich viel Ordnung; Sterne, Galaxien, alles ist organisiert.

Also wer organisiert das alles? Man kann sich kaum vorstellen, dass es keine ordnende Kraft gibt. Das lässt sich überprüfen: Wenn es keine Masse im Universum gäbe, würde das Universum eines Tages seine maximale Ausdehnung erreicht haben und in einen Punkt kollabieren, denn nur die Masse kann durch Gravitation die Expansion verhindern und zwar diese ursprüngliche Expansion, die das Universum entstehen ließ. Es würde sich also zusammenziehen. Aber wir haben die Materie und die Energie im Universum, mit der wir uns beschäftigen müssen, und wir kennen nur fünf Prozent des Universums; der ganze Rest ist dunkel. Wir wissen also nicht viel. Die Lebensdauer des Universums liegt ebenfalls im Dunkeln. Wir müssen warten, bis die Wissenschaft mehr herausgefunden hat.

FRAGE: Sie glauben also an ein schöpferisches Prinzip. Müssten Sie da nicht die Religion wechseln? Etwa Christ werden?

ANTWORT: Nein, das glaube ich nicht. Für mich ist der christliche Gott ein persönlicher Gott. Ich denke mehr an das schöpferische Prinzip wie bei Einstein und Spinoza. Die Schönheit der Natur verlangt ein schöpferisches Prinzip, das alle physikalischen Gesetze reguliert. Wir sehen die Natur, die Bäume, die Galaxien, die Sterne, die Planeten. Das alles ist eine Manifestation des schöpferischen Prinzips. Aber natürlich würde dies dem Buddhismus widersprechen, der das schöpferische Prinzip nicht anerkennt. Andererseits lehrt der Buddhismus, dass nichts aus sich selbst heraus existieren kann, dass alles voneinander abhängt. Vielleicht werden wir eines Tages herausfinden, dass das Universum zyklisch ist und dann brauche ich mir keine Gedanken zu machen, denn dann passt es zum Buddhismus. Wir werden sehen. Diese Dinge sind noch alle sehr unsicher und es ist sehr schwierig, das alles korrekt zu messen.

FRAGE: Sie sagen einerseits, alles ist voneinander abhängig, nichts existiert aus sich selbst heraus. Andererseits glauben Sie an das schöpferische Prinzip. Ist das nicht ein Widerspruch?

ANTWORT: Ja, das ist ein Widerspruch, aber es ist für mich kein großes Problem. Was auch immer die Wissenschaft herausfindet, ich werde es akzeptieren, denn in erster Linie bin ich ein Wissenschaftler. Einige metaphysische Fragen des Buddhismus werden vielleicht gelöst, etwa wenn sich herausstellt, dass es nur einen Zyklus gibt. Wenn es aber keinen Schöpfer gibt, dann gibt es uns auch nur durch reinen Zufall.

Das schöpferische Prinzip würde beinhalten, dass es etwas gibt, was die Dinge lenkt, das dafür sorgt, dass etwas passiert. Ohne das wäre alles Zufall. Reine Willkür, dass wir hier sind, das ganze Universum wäre Zufall, ohne jede Bedeutung. Für manche Wissenschaftler ist alles reiner Zufall. Aber das ist nicht mein Standpunkt. Wenn wir nur ein Universum annehmen und nur einen Zyklus, dann muss es ein schöpferisches Prinzip geben. Das würde dem Buddhismus widersprechen, da gebe ich Ihnen Recht.

Aus der Sicht des Wissenschaftlers gibt es aber auch einige Probleme oder unbeantwortete Fragen im Buddhismus, etwa die Leibnitz-Frage: „Warum gibt es etwas und nicht etwa nichts.“ Oder: Warum sind die physikalischen Gesetze so, wie sie sind? Was steckt dahinter? Vielleicht ein schöpferisches Prinzip; ich weiß es nicht. Diese Fragen werden vom Buddhismus nicht beantwortet, auch nicht vom wissenschaftlichen Standpunkt. Ich lebe also einfach damit. Ich habe keine Lösung. Dennoch bin ich Buddhist und gleichzeitig Wissenschaftler.

Prof. Thuan wurde in Hanoi, Vietnam geboren. 1974 promovierte er in Physik an der Princeton University. Seit 1976 ist er Professor für Astronomie an der University of Virginia. Sein Spezialgebiet ist die Erforschung von Galaxien jenseits der Milchstraße. Neben unzähligen Fachveröffentlichungen hat er populärwissenschaftliche Bücher geschrieben, darunter Bestseller, die in 15 Sprachen übersetzt wurden. Sein jüngstes Werk heißt Quantum und Lotus.