Dharma-Praxis: Tipps für Laien

Aus Unterweisungen Geshe Thubten Ngawangs zu der Schrift "Brief an einen Freund" des indischen Meisters Nagarjuna. In der Schrift werden Ratschläge an einen König erteilt, wie dieser als Laie mit Beruf und Familie den Buddhismus praktizieren kann.

Die Zeit gut nutzen
Wie können wir unsere Zeit am besten nutzen? Wir sollten den ganzen Tag über sowie den ersten und dritten Teil der Nacht mit sinnvollen Tätigkeiten verbringen, die das Heilsame vermehren. Tagsüber nehmen wir drei Körperhaltungen ein: Entweder gehen wir zu einem bestimmten Zweck irgendwohin, wir stehen oder sitzen. Wir sollten unsere Bewegungen kontrollieren und für heilsame Ziele gebrauchen. Ein Dharma-Praktizierender überprüft achtsam den ganzen Tag seine Handlungen.

Im "Eintritt in das Leben zur Erleuchtung" empfiehlt Shantideva, dass wir beim Gehen nicht sinnlos in der Gegend umherschauen, sondern die Augen möglichst nach unten richten. Nur ab und zu blicken wir hoch und registrieren, wo wir gehen und ob irgendwelche Gefahren lauern; treffen wir auf Menschen, sind wir ihnen gegenüber freundlich. Wir achten beim Gehen auf unsere Gedanken und Handlungen. Treffen wir auf Situationen, in denen Gier, Ärger oder große Verwirrung aufkommen, ist es besser, sich zu entfernen. Anweisungen für das Verhalten im Alltag dienen dazu, das körperliche, sprachliche und geistige Verhalten zu läutern.

Besonderen Wert legte der Buddha, besonders auch in den Mahayana-Unterweisungen, auf die Entwicklung von Mitgefühl und liebevoller Zuneigung. Wir können diese erhabenen Geisteszustände bei allem, was wir tun, in uns erzeugen. Begegnen wir einem anderen, sollten wir uns vor Augen führen, dass wir nur in Abhängigkeit von der Güte und Hilfe dieses Wesens die Erleuchtung verwirklichen können. Deshalb schätzen wir ihn und sehen ihn mit freundlichem Gesicht an. In dieser Art werden viele Anweisungen gegeben, wie wir unser Leben im Dharma führen sollten. Oft besuchen wir buddhistische Seminare oder führen Meditations-Klausuren durch, die sich auf einige Tage oder Wochen im Jahr beschränken. Sobald die Zeit der intensiven Praxis zu Ende ist, verhalten wir uns wieder wie früher und fahren in alten Bahnen fort. Es ist lobenswert, sich eine gewisse Zeit im Jahr für Seminare und Meditationskurse freizuhalten, aber dadurch wird nicht der ganze Effekt der Dharma-Praxis erzielt.

Essen wie Medizin ansehen
Wir sollten die Nahrung wie Medizin ansehen. Eine Medizin dient ausschließlich dazu, den Körper zu erhalten und zu heilen. Ebenso betrachten wir die Nahrung als etwas, das unseren Körper aufrechterhält. Wir nehmen unsere Mahlzeiten nicht motiviert von Leidenschaften wie Gier oder Hass ein. Auch verleiben wir uns Essen nicht zu dem Zweck ein, unseren Körper zu stählen und stark zu machen. Wir sollten den Körper gut versorgen, aber brauchen ihn nicht für Wettbewerbe oder Ähnliches zu trimmen.

Mit welcher Einstellung nehmen wir die Nahrung zu uns? Das Wichtigste im Leben ist, dass wir den Dharma effektiv ausüben. Dazu brauchen wir einen menschlichen Körper, der gut genährt und gepflegt ist. So denken wir, dass wir eine Mahlzeit zu uns nehmen, damit wir auch in Zukunft Dharma praktizieren können. Mit einer solchen Motivation zu essen, ist überaus nützlich. Denn wir müssen das ganze Leben lang Nahrung zu uns nehmen, und so können wir diese Handlung immer wieder mit heilsamen Gedanken verknüpfen. Die Anweisung, mit einer solch heilsamen Einstellung zu essen, stammt aus den Belehrungen des Buddhas zur Disziplin. Sie richten sich in erster Linie an Übende des Shravaka-Fahrzeugs, die ihre persönliche Befreiung vom Leiden anstreben. Sie sind besonders für Anfänger geeignet.

Selbstverständlich können wir das Essen auch mit der Mahayana-Motivation verbinden. Wir erzeugen dann den Wunsch: "Möge ich die Erleuchtung zum Wohle aller Wesen erlangen; aus diesem Grund will ich Dharma üben, und dazu muss ich meinen Körper erhalten und etwas essen." Auf diese Weise wird die Handlung des Essens indirekt ein Mittel, um allen Wesen zu nutzen. Eine solche Einstellung stimmt mit der Geisteshaltung eines Bodhisattva überein. Wir können uns auch vorstellen, dass sich in unserem Körper viele Lebewesen aufhalten; in den Schriften wird von 84.000 Kleinstlebewesen gesprochen, die einen Körper bevölkern. Wir denken, dass wir diesen Wesen durch das Essen Nahrung zuführen und verbinden es mit dem Wunschgebet, dass wir dadurch eine gute Beziehung zu ihnen herstellen mögen, die dazu beiträgt, sie in Zukunft mit der echten Nahrung des Dharma versorgen zu können.

Kleidung anlegen: Glückseligkeit und Leerheit kontemplieren
Zu unserem Lebensunterhalt gehört nicht nur das Essen, sondern auch die Kleidung, was in dem Text Nagarjunas nicht ausdrücklich erwähnt wird. Aber natürlich können wir auch das Tragen von Kleidung mit einem heilsamen Geist verbinden. Im Tantra gibt es dazu besondere Dharma-Übungen, in denen der Yogi sich selbst als Gottheit, als vollkommenes Wesen visualisiert. Alle Speisen, die er zu sich nimmt, werden zuerst gesegnet und dadurch in Weisheitsnektar verwandelt. Der Übende sieht sich selbst als Gottheit an und die gewöhnlichen Speisen als Nektar, an dem er sich erfreut. So kann das Essen einer gewöhnlichen Scheibe Brot in eine tiefgründige Praxis verwandelt werden.

Ebenso geschieht es, wenn der Praktizierende Kleidung anlegt. Er visualisiert sie als Gewänder der Gottheit, die durch die Kraft der Weisheit und Verdienste entstanden sind und ihm beim bloßen Sehen und Berühren eine makellose Glückseligkeit verleihen. Dies ist die tiefgründigste Ausübung von Dharma, denn die äußeren Objekte werden dahin-gehend transformiert, dass der Yogi durch sie eine makellose Glückseligkeit erlebt, die er als völlig leer von inhärenter Existenz erkennt.

Beim Essen und beim Anlegen der Kleidung führt sich der Yogi vor Augen, dass die drei Elemente der Handlung des Essens - die Speise, der Yogi und das Essen selbst - leer von inhärenter Existenz sind; dies gilt auch für die Kleidung, den Yogi und das Tragen der Kleider. So vereint der Übende die Glückseligkeit mit dem rechten Verständnis der end-gültigen Natur der Phänomene. Das ist eine vortreffliche und wirksame Geisteshaltung bei den Dingen des täglichen Lebens, die natürlich nicht von heute auf morgen entsteht, sondern lange Zeit eingeübt werden muss. Als Resultat dieser Meditation erscheint die äußere Umgebung als ein göttlicher Palast, also die vollkommene Umgebung eines Buddhas, und die Lebewesen darin erscheinen als göttliche Wesen.

Dadurch, dass wir die Dinge als rein visualisieren, setzen wir die Ursachen dafür, dass sie uns irgendwann wirklich so erscheinen, wie der Buddha sie wahrnimmt. Würde der Buddha mit uns zusammen essen, so erschiene ihm die gleiche Nahrung ganz anders als uns. Auf Grund der Vervollkommnung von Weisheit und Methode nimmt er das Essen völlig rein wahr, es löst eine makellose Glückseligkeit in ihm aus. Da wir den Zustand eines Buddhas anstreben, üben wir uns schon jetzt in Wahrnehmungen, wie sie ein Erleuchteter hat. Im Rahmen der Erklärungen zu Karma werden verschiedene karmische Resultate aufgezählt, zum Beispiel solche, die sich auf die äußere Umgebung beziehen. In welche äußere Umgebung wir später hineingeboren werden, hängt also von unseren Handlungen und Einstellungen ab. Dies machen sich Tantra-Übende zunutze; sie stellen sich ihre Umgebung als rein vor und werden als Resultat später in einer reinen Umgebung leben.

Kontakte zum anderen Geschlecht
Ein wesentliches Hindernis für die spirituelle Entwicklung ist die Begierde. Nagarjuna rät seinem Freund, dem König, nicht auf die Frauen anderer zu schauen. Ein Laienschüler läuft viel eher Gefahr, sexuelles Fehlverhalten wie Ehebruch zu begehen als jemand, der ordiniert ist und den festen Entschluss gefasst hat, sexuelle Beziehungen ganz zu vermeiden. Das Gelübde der Mönche und Nonnen enthält die Regel der sexuellen Enthaltsamkeit, und ihr Lebenswandel zeigt sich auch in der äußeren Erscheinung wie den Roben und den kurzen Haaren. Ihre Erscheinung trägt dazu bei, ihr Keuschheitsgelübde zu schützen.

Natürlich ist es für den König nicht realistisch, den Kontakt zu Frauen gänzlich abzubrechen. Deshalb macht Nagarjuna Vorschläge, wie er Frauen anderer betrachten solle: Eine gleichaltrige solle er wie eine Schwester ansehen, eine ältere wie die Mutter und eine jüngere wie die Tochter. Das hilft, um aufflammende Begierde in Schach zu halten. In den Versen richtet sich der indische Meister an einen Mann, den König, umgekehrt gelten die Ratschläge natürlich auch für Frauen. Sie betrachten dementsprechend andere Männer als Brüder, Väter oder Söhne.

Kommt Begierde auf, ist es sehr hilfreich, das begehrte Objekt bewusst anders zu betrachten, als es einem erscheint. Wer dies einmal versucht, wird in der eigenen Erfahrung feststellen, dass dies ein sehr gutes Mittel ist, um die Gier zu schwächen. Der Buddha gab seinen Mönchen die Anweisung, Frauen nicht zu berühren, um die Begierde schon im Keim zu ersticken. Wie aber soll sich ein Mönch verhalten, wenn eine Frau in Gefahr ist, zum Beispiel in den Fluss gefallen ist und zu ertrinken droht? Soll er dann daneben stehen und auf der Regel beharren, dass er die Frau nicht anfassen darf? Der Buddha wies die Mönche selbstverständlich an, der Frau zu Hilfe zu eilen, sich dabei jedoch vorzustellen, dass sie die eigene Mutter, Schwester oder Tochter wäre.

Das Entstehen von Begierde im Geist ist unheilsam. Sobald sich dieser Geistesfaktor ausbreitet, hinterlässt er negative Potenziale im Geist, mit denen wir uns in der Zukunft Leiden einhandeln. Begierde zieht das Leiden magisch an, schon im gegenwärtigen Leben. Eifersuchtsdramen, das Auseinanderbrechen von Familien und viele andere Konflikte ergeben sich aus Begierde. Ehebruch zum Beispiel kann dazu führen, dass Kinder zur Welt kommen, die nicht erwünscht sind und in zerrütteten Familien aufwachsen.

Ein weiteres Mittel gegen Begierde, auf das wir zurückgreifen können, wenn das erste nicht fruchtet, ist die Betrachtung der Unreinheit des Körpers. Da Anhaftung hauptsächlich an den Körper des anderen entsteht, wird sie dadurch, dass man diesen Körper als unrein visualisiert und sich seine Fehler bewusst macht, abnehmen. Der Buddha erläuterte diese Übungsmethode im Zusammenhang mit den Vier Arten der Vergegenwärtigung: auf den Körper, die Empfindungen, den Geist und die Phänomene. Zuerst kontempliert man die unattraktiven Aspekte des Körpers. Wenn auch das nicht hilft und die Gier nicht geringer wird, soll man weitere Mittel anwenden, um den Geist zu behüten; diese werden in der Grundschrift erklärt.

Welche Partner sind die richtigen?
Nagarjuna nimmt in seinen Ratschlägen keinen Lebensbereich aus und beschreibt im Folgenden, mit welchen Frauen der König Umgang pflegen sollte. Von drei Arten von Frauen soll der König besser Abstand nehmen: Frauen, die sein Leben gefährden; Frauen, die ihn tyrannisieren und die er immerzu bedienen muss; und Frauen, die es auf seinen Reichtum abgesehen haben. Vorzuziehen seien dagegen Frauen, die wie Schwestern sind, das heißt die das Herz am rechten Fleck haben und freundlich gesonnen sind; Frauen, die wie Freundinnen sind, also Menschen, mit denen man sich gut versteht; Frauen, die wie Mütter sind und ihm helfen möchten; sowie Frauen, die ihm ergeben sind und Beistand leisten. Diese solle er verehren wie "Familiengottheiten", denn sie werden sein Leben reicher machen. Da der König viele Aufgaben im Land zu erledigen hat, sollte er sich mit Frauen verbinden, die ihn unterstützen, vor allem auch, wenn sie in der Religion mit ihm übereinstimmen.

Schlafen - mäßig und mit einer guten Motivation
Wer den Dharma verwirklichen möchte, muss ihn in sein Leben integrieren und ihn sein ganzes Leben lang kontinuierlich ausüben. Dann wird sich der echte Nutzen ergeben. Selbst den Schlaf können wir heilsam gestalten, indem wir uns mit einem achtsamen Geist schlafen legen. Wir erzeugen vor dem Einschlafen heilsame Gedanken, indem wir uns zum Beispiel vor Augen führen, dass wir uns erholen wollen, um unser Leben im Einklang mit dem Dharma zu führen. Dadurch beeinflussen wir den ganzen Schlaf positiv. Eine andere Möglichkeit besteht in dem Gedanken: "Ich will mein Leben dazu nutzen, um mich zum Wohle der anderen weiterzuentwickeln. Den morgigen Tag will ich versuchen, anderen zu helfen, und dazu ruhe ich mich jetzt aus."

Ob der Schlaf heilsam wird oder nicht, hängt von der Motivation ab, mit der wir uns zur Ruhe begeben. Heilsame Gedanken erzeugen positive Eindrücke im Geist, schlechte Gedanken beeinflussen den Schlaf negativ. Sind die Gedanken weder heilsam noch unheilsam, wird der Schlaf entsprechend neutral sein. Im Rahmen der 51 Geistesfaktoren wird der Schlaf den Vier Wandelbaren Faktoren zugeordnet, die nicht von sich her heilsam oder unheilsam sind, sondern erst unter dem Einfluss bestimmter Bedingungen dazu werden. Die beste Position um einzuschlafen ist die so genannte Löwenhaltung, die der Buddha beim Eingang ins Paranirvana zeigte: Man liegt auf der rechten Seite, die rechte Hand unter der rechten Wange, und mit dem Mittelfinger verschließt man das rechte Nasenloch. Die Beine sind lang gestreckt und seitlich aufeinander gelegt, und die linke Hand ist auf dem linken Oberschenkel platziert. So ahmen wir die Körperhaltung des Buddhas nach und bringen dadurch zum Ausdruck, dass wir seinem Weg folgen. Am besten ist es, wenn wir uns vor dem Einschlafen kurz den Lebensweg des Buddhas vergegenwärtigen, wodurch weitere gute Samen in den Geist gelegt werden. So entwickeln wir uns schrittweise in Richtung Befreiung.

Gedanken an den Buddha sind deshalb so positiv und effektiv, weil sie in Bezug zu einem Verdienstfeld stehen. Da der Buddha überragende Tugenden besitzt, sammeln wir viele Verdienste an, wenn wir uns an ihm orientieren. Noch besser ist es natürlich, die echten Dharma-Inhalte wie Entsagung, Liebe, Mitgefühl und die rechte Ansicht der Leerheit hervorzubringen, denn sie sind das eigentliche Material für die Erleuchtung. Aber auch Handlungen, die in Vertrauen zum Buddha begangen werden, zielen in diese Richtung.

Wir sehen, dass es für einen Dharma-Praktizierenden zahllose Gelegenheiten gibt, heilsam zu handeln und Verdienste zu sammeln, ohne sich über die Maßen zu verausgaben. Wir müssen dazu nicht mit verschränkten Beinen in Meditation sitzen. Wenn zwei Menschen da sind, von denen der eine in Meditation weilt und der andere jemandem hilft, ist von außen schwer zu sagen, wer von beiden wirklich Dharma ausübt.

Aus dem Tibetischen übersetzt von Christof Spitz