China kriminalisiert die Selbstverbrennungen
Markus Ackeret, Peking
Der Film beginnt mit einem Zitat: «Zuerst dachte ich, ich sei ein Held. Jetzt halte ich mich für einen Idioten.» Der das in sein Tagebuch geschrieben haben soll, ist ein 18-jähriger Tibeter aus dem tibetisch besiedelten Gebiet der westchinesischen Provinz Gansu. Er hatte sich Anfang Dezember selbst angezündet und überlebte mit schweren Verbrennungen. Ein halbstündiger Film des chinesischen Staatsfernsehens, der auch auf dessen englischsprachigem Kanal ausgestrahlt wurde, zeigt den langsam Genesenden als das Beispiel für einen Verführten, der sein Tun bitter bereut. Er sei, sagt er dem Sender vom Spitalbett aus, durch Berichte des tibetischen Dienstes von Voice of America beeinflusst worden.
Ohnmacht der Behörden
Der Fernsehbeitrag und ein vergleichbarer Bericht in der englischsprachigen staatlichen Zeitung «China Daily» sind die mediale Begleitung einer neuen Strategie der chinesischen Behörden im Umgang mit den Selbstverbrennungen von Tibetern in Westchina. Nicht mehr allein polizeiliche Repression soll den Akten ein Ende setzen. Die Provinz Gansu ist dazu übergegangen, die Selbstverbrennungen als Teil einer Verschwörung exiltibetischer Kräfte und ausländischer Medien darzustellen und angeblichen Rädelsführern den Prozess zu machen.
In den vergangenen zwei Jahren haben sich nahezu 100 Personen selbst angezündet, um, wie es von tibetischen Exilorganisationen und in Berichten aus der Region heisst, gegen die repressive Politik der chinesischen Regierung, für die Rückkehr des geistigen Oberhaupts, des Dalai Lama, und für die Freiheit Tibets einzustehen. Praktisch alle der meist jungen Männer und Frauen kamen dabei ums Leben. Viele waren Mönche in Klöstern der tibetisch besiedelten Gebiete rund um die eigentliche Region Tibet gewesen.
Die Verzweiflungstaten haben die Spannungen zwischen der meist Han-chinesischen Obrigkeit und den Tibetern verstärkt. Immer wieder kam es im Zuge von Selbstverbrennungen zu Protesten und Zusammenstössen. Manche Dörfer verwandelten sich in Festungen chinesischer Sicherheitskräfte. Ein schlüssiges Bild zu gewinnen, ist aber fast unmöglich, da die betroffenen Gebiete kaum zugänglich sind.
Orchestriertes Vorgehen
Seit Beginn dieser drastischen Form des Protests bezichtigt die chinesische Regierung die als «Dalai-Lama-Clique» bezeichnete Exilregierung der Tibeter in der nordindischen Stadt Dharamsala der Anstachelung zum Protest. Sprecher des Aussenministeriums werfen dem Dalai Lama Anstiftung zum Mord vor, weil er sich nie von den Selbstverbrennungen distanziert hat.
Indem die Behörden in Gansu nun Verbindungen zwischen dem Tibetischen Jugendkongress im Exil und angeblichen Anstiftern von Selbstverbrennungen in China ausgemacht haben wollen, machen sie die Opfer zu Verführten. In zwei ersten Prozessen verurteilten Gerichte vor einigen Tagen im Bezirk Gannan insgesamt acht Personen zu teilweise sehr hohen Haftstrafen, in einem Fall zum Tod mit aufschiebender Wirkung. Alle Verurteilten sollen junge Männer und Frauen mit dem Versprechen, Helden des tibetischen Widerstands zu werden, zum Selbstmord gedrängt haben.
Die parallel dazu veröffentlichten Medienberichte zeichnen die Hintergründe der angeblichen Verschwörungen nach und porträtieren die Opfer und deren Hinterbliebene. Einer der vorgeblichen «Verführer» sagt vor der Kamera aus. Als wichtigen Teil des Vorgehens stellen die Beiträge die Verbreitung von Bildern der Selbstverbrennungen über das Internet sowie die Berichte darüber in den tibetischen Programmen von Voice of America und Radio Free Asia dar. Damit werden ausländische Medien als Komplizen krimineller Taten dargestellt, die der Aufstachelung der Bevölkerung dienen sollten.
Exiltibetische Organisationen bezweifeln, dass die Verurteilten mit den Vorgängen irgendetwas zu tun haben, und halten die Anklage für konstruiert. Weil in China rechtsstaatliche Prinzipien fehlen – es gibt keine Gewaltentrennung, und die Kommunistische Partei steht über der Gerichtsbarkeit –, sind die Hoffnungen des Aussenministeriums, die Prozesse könnten die Weltöffentlichkeit über die Rolle der «Dalai-Lama-Clique» bei den Selbstverbrennungen aufklären, vergeblich. Die propagandistische Begleitmusik der Staatsmedien entkräftet die Zweifel an dem Verfahren und der Strategie der Behörden erst recht nicht. Die Aussagen in dem Film lassen sich nicht überprüfen. Das Unbehagen zahlreicher Gesprächspartner ist deutlich zu spüren – was immer sich dahinter verbirgt.
Die Unterstellung, ausländische Medien hätten die Selbstverbrennungsopfer angestiftet, wirkt wie die wohlfeile Rechtfertigung für die Dämonisierung ausländischer Berichterstattung durch die chinesische Regierung. Ebenso wenig lassen sich allerdings die Berichte der zahlreichen exiltibetischen Lobbyorganisationen verifizieren. Dass diese und auch der Dalai Lama die Selbstverbrennungen nie verurteilt haben, stösst nicht nur bei offiziellen chinesischen Vertretern auf Kritik.
Kein überzeugendes Rezept
Die Strategie, die Selbstverbrennungen zu kriminalisieren, dürfte kaum für Ruhe in den tibetisch besiedelten Gebieten Westchinas sorgen. Die ökonomischen Fortschritte haben zweifellos ihre Vorteile, aber auch eine Kehrseite, weil es nicht allein um Materielles geht. Die verbreitete Unzufriedenheit gründet wesentlich im Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Repression ist dafür sogar die Bestätigung.
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