Peking zwingt Tibeter zum fröhlichen Neujahrsfest

Viereinhalb Stunden wurden für die Revue zum Beginn des tibetischen Jahres 2139 am Mittwoch eingeplant, Kabelkanäle strahlen sie mit tibetischen und chinesischen Untertiteln aus.

Die Behörden in Peking und in der sogenannten Autonomen Provinz Tibet schrieben zusammen das Drehbuch, die Umsetzung überließen sie den staatlichen Fernsehsendern.

Die 35 Darbietungen der Gala starten mit dem Lied „Drache in blühender Zeit“ und enden mit dem Potpourri von der „Großen Verheißung des Glücks“, in den Kinos der tibetischen Hauptstadt Lhasa laufen neue Spielfilme an, und auch ein großes Pferderennen soll Feierlaune verbreiten, auf dem Platz vor dem Potala-Palast – einst Sitz des Dalai Lama, des geistlichen Oberhauptes der Tibeter – treten 5000 Teilnehmer zum rituellen Massentanz an, unter dem Motto „Modellreigen für ein glückliches Lhasa“.

Tibeter sollen danach die Choreografie gruppenweise überall in der Stadt nachtanzen.

Doch der organisierte Frohsinn ist Teil einer Propagandaschlacht. Das Feiern auf dem Dach der Welt hat Peking zur patriotischen Pflicht erhoben, seit Exil-Tibeter ihre Landsleute aufgerufen haben, sich dieses Jahr dem Fest zu verweigern. Sie sollten stattdessen der mehr als 20 Mönche, Nonnen und einfachen Tibetern gedenken, die sich im vergangenen Jahr aus Protest gegen die repressive Tibet-Politik Chinas selbst in Brand steckten.

Polizei und Behörden sind in Alarmbereitschaft. Die englischsprachige Pekinger Zeitung „Global Times“ erschien vergangene Woche mit einer dramatischen Schlagzeile auf der Titelseite: „Tibets Offizielle bereiten sich auf Krieg vor“.

Die Zeitung berief sich auf Warnungen des neuen Parteichefs Chen Quanguo vor „sezessionistischen Sabotageakten“ auf Befehl von Exil-Tibetern um den Dalai Lama, der seit 1959 im Exil lebt. Im März jährt sich der damalige Volksaufstand ebenso wie die Unruhen von 2008, weshalb auch die Verantwortlichen in Peking für die nächsten Wochen Gefahr wittern.

Wie ernst die Behörden die Lage sehen, verriet ihr jüngster Erlass: Alle Funktionäre, die in ihrer Wachsamkeit nachlassen oder sich zu nachgiebig gegenüber Protesten zeigen, müssen mit sofortiger Entlassung rechnen. Am Dienstag meldete das Parteiorgan „Xizang Ribao“, Tibets Regierungschef Baima Chilin habe noch einmal die Sicherheitskräfte, Soldaten und die bewaffnete Polizei inspiziert und sie gemahnt, mit allen Mitteln zu verhindern, dass es beim Frühlingsfest zu „großen, mittleren oder auch nur kleinsten Zwischenfällen“ komme.

„Der Kampf gegen die Dalai-Lama-Clique und gegen die Tibet feindlich eingestellten ausländischen Kräfte ist grimmig ernst“, so der Premier.

Nach außen aber soll Tibet wie ein Festplatz der Folklore voll fröhlichem Ringelreihen erscheinen.

Ebenso wie die Bevölkerung im chinesischen Kernland zum Frühlingsfest Ende Januar dürfen nun auch die drei Millionen Einwohner Tibets sieben Tage offiziell ihr Neujahr feiern.

Und Peking legt Wert darauf, dass sie es sichtbar tun. Reporter der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua berichten über die festliche Illumination von Lhasa und seiner Klöster, von ausgebuchten Restaurants, fröhlichen Kindern und einer „freudig-erwartungsfrohen“ Atmosphäre, die über der Stadt liege. Unabhängige Augenzeugen gibt es dafür nicht.

Bis weit in den März erhalten selbst normale Touristen keinen Zugang nach Tibet. Journalisten dürfen ohnehin nicht ohne Sondererlaubnis nach Lhasa reisen. Informationen von Exil-Tibetern sind darum oft die einzige Möglichkeit, eine andere als die offizielle Lageeinschätzung zu erhalten.

Jede innerchinesische Diskussion über Pekings Schuld an der Lage in Tibet ist tabuisiert. Die Führung macht auch keine Anstalten, etwa einen Untersuchungsausschuss zu den Selbstverbrennungen einzusetzen, die es in dieser Weise in der Geschichte der Volksrepublik noch nicht gab. So kommen alle Informationen auch dazu von der Exilgemeinde.

Vergangenen Sonntag starb ein 18 Jahre alter Mönch mit dem Namen Nangdrol vor dem Samdrup-Norbu-Ling-Kloster im tibetisch besiedelten Gebiet der Provinz Sitschuan. Wie die Londoner Initiative International Campaign for Tibet berichtete, soll er vor seinem Tod Parolen für Tibets Unabhängigkeit und die Rückkehr des Dalai Lama gerufen haben.

Die jüngste Verzweiflungstat hat die Zahl der Protestverbrennungen auf mindestens 21 Fälle innerhalb eines Jahres erhöht. Mehr als die Hälfte der Betroffenen starb. Chinas offizielle Medien bestätigten knapp die Hälfte der Opfer.

Aber sie behaupten, dass es sich um „gescheiterte, kriminelle Existenzen“, um psychisch labile aus Klöstern entlassene Mönche oder um Radikale handele, die von der „Dalai-Lama-Clique“ angestiftet wurden. Doch viele der Mönche stammten aus dem aufständischen Kloster Kirti, das seit zwei Jahren besonders scharf verfolgt wird.

Fast alle Selbstverbrennungen ereigneten sich in an Tibet grenzenden Gebieten, wo Peking die Klöster disziplinieren und die Mönche umerziehen lässt. Mitte Februar nahm Premier Wen Jiabao erstmals Stellung zur den Selbstverbrennungen – mit einer Tirade: „Jeder Versuch, eine kleine Gruppe von Mönchen zu radikalen Aktionen anzustiften, um die Stabilität der Autonomen Region Tibet zu unterminieren“, sei zwecklos und finde „keinerlei Unterstützung bei der Bevölkerung Tibets“.

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