Tenzin Gyatso, 1935

Tenzin Gyatso ist der Mönchsname des jetzigen Dalai Lama. Er wurde am 6. Juli 1935 mit dem Namen Lhamo Döndrub in Taktser, einem Dorf in der tibetischen Provinz Amdo im Nordosten Tibets, als zweiter Sohn der Bauernfamilie Dekyi Tsering und Chökyong Tsering geboren. Seine Mutter brachte insgesamt 16 Kinder zur Welt, von denen sieben die Kindheit überlebten. Tenzin Gyatso hat vier Brüder – Thubten Jigme Norbu (Reinkarnation des Taktser Rinpoche), Gyalo Thöndrup, Lobsang Samten und Tenzin Chögyel – sowie zwei Schwestern: Tsering Dölma und Jetsün Pema. Seine Schwester Tsering Dölma und seine Brüder Lobsang Samten und Thubten Jigme Norbu sind inzwischen verstorben.


Im Alter von knapp zwei Jahren wurde er von vier Mönchen anhand einer Vision des Regenten, von Orakelsprüchen und anderen Vorzeichen als Wiedergeburt des 1933 verstorbenen XIII. Dalai Lama aufgefunden. Berichtet wird, dass das Kleinkind sowohl einen als Diener verkleideten hohen Lama spontan als „Lama aus dem Kloster Sera“ erkannte als auch etliche Gegenstände aus dem Besitz des 13. Dalai Lama, die neben ähnlichen aufgelegt waren, als sein Eigentum an sich nahm.


Lhamo Döndrub musste zunächst vom Provinzgouverneur durch erhebliche Bestechungs-Summen freigekauft werden, was nahezu zweijähriger Verhandlungen bedurfte, und langte mit etwa vier Jahren in Lhasa ein, wo er im Rahmen des Neujahrsfestes am 22. Februar 1940 im Potala als 14. Dalai Lama durch die Sitringasol-Zeremonie inthronisiert wurde. Sein neuer Name lautete damit Jetsün Jampel Ngawang Lobsang Yeshe Tenzin Gyatso – „Heiliger Herr, gütiger Herr, mitfühlender Verteidiger des Glaubens, Ozean der Weisheit“. Tibeter sprechen vom Dalai Lama normalerweise als Yishin Norbu („alle Wünsche erfüllender Edelstein“) oder einfach als Kundün (Gegenwart).


Von 1946 bis 1950 hielt sich der österreichische Bergsteiger und Abenteurer Heinrich Harrer in Lhasa auf und freundete sich ab 1948 mit dem jungen Dalai Lama an, für den er filmte, fotografierte und den er in die westliche Form des Rechnens[3] sowie in Englisch und Geografie unterwies.
Am 17. November 1950 wurde dem damals 15-jährigen Dalai Lama die weltliche Herrschaft über Tibet übertragen, er musste sich aber angesichts der offenbar aussichtslosen Lage unter der Bedrohung Tibets durch Rotchina zu dieser Zeit mitsamt seinem Regierungsstab unverzüglich nach Dromo, unmittelbar an der indischen Grenze, in Sicherheit bringen. Harrer verbrachte dort bis März 1951 und ging dann nach Indien; der Dalai Lama kehrte im Sommer nach Lhasa zurück um gemäß dem Abkommen mit den Chinesen seine religiösen Funktionen wieder aufzunehmen.


Abkommen mit der Volksrepublik China
Am 23. Mai 1951 unterzeichneten Vertreter der tibetischen Regierung in Beijing das so genannte „17-Punkte-Abkommen zur friedlichen Befreiung Tibets“, mit dem Tibet innenpolitische Autonomie und Religionsfreiheit zugesichert werden sollte, die Vertretung in der Außenpolitik, im Außenhandel sowie in militärischen Angelegenheiten aber von der Regierung der Volksrepublik China beansprucht wurde. Am 24. Oktober 1951 wurde nach einem entsprechenden Beschluss der tibetischen Nationalversammlung in Lhasa die Zustimmung Tenzin Gyatsos an Mao Zedong und die Regierung der Volksrepublik China telegrafiert[4]. Er selbst erklärte dazu später, er habe dem Abkommen nur zugestimmt, um sein Volk und das Land „vor der völligen Zerstörung zu bewahren“[5]. Dem Abkommen vorausgegangen war der Einmarsch der chinesischen Volksbefreiungsarmee in der osttibetischen Provinz Chamdo.


Im Jahr 1954 reiste Tenzin Gyatso auf Einladung der Regierung der Volksrepublik China und gegen den Widerstand der Äbte von Sera, Drepung und Ganden mit einem Gefolge von fast 500 Personen nach Beijing.[6] Konservative Kräfte des tibetischen Adels und Klerus befürchteten, dass der Dalai Lama in Beijing gegen ihre Interessen beeinflusst werden könnte.[7] Im September 1954 wurde er zum stellvertretenden Vorsitzenden des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses gewählt.[8] Der Dalai Lama überreichte Mao Zedong Geschenke und schrieb eine Hymne an ihn, in der er Mao Zedong u. a. mit Brahma verglich.[9] Die chinesische Regierung finanzierte den Bau des Palastes Tagten Migyur Phodrang[10] für den 14. Dalai Lama auf dem Gelände des Norbulingka. Der Palast wurde 1956 fertig gestellt.[11]
Im Winter besichtigte der 14. Dalai Lama weitere chinesische Städte und war sehr beeindruckt. 1955 feierte er das tibetische Neujahr in Beijing und gab aus diesem Anlass ein Bankett für Mao Zedong, Zhou Enlai, Liu Shaoqi und Zhu De.[12]
Im April 1958 wurde das Vorbereitungskomitee des Autonomen Gebiets Tibet gegründet und der 14. Dalai Lama wurde zum Vorsitzenden des Komitees gewählt.[13]


Flucht und Exil
Im Jahre 1959 floh der gegenwärtige Dalai Lama am 17. März während des Tibetaufstands ins indische Exil nach Dharamsala (Himachal Pradesh), wo er sich seitdem aufhält. Kurz bevor er floh, hatte er die Geshe, die Doktorwürde der buddhistischen Theologie (vgl. Indische Philosophie), am Jokhang-Tempel erlangt, nachdem er sich in philosophischen Debatten mit Mönchen der Klöster Drepung, Ganden und Sera bewährt hatte. Vor der Flucht hatte er das Nechung-Orakel befragt, das ihm riet, Tibet zu verlassen.


Beziehungen zum Westen
Neben diesen politischen Aktivitäten setzt sich der 14. Dalai Lama intensiv für einen friedfertigen, konstruktiven und mitfühlenden Dialog der Menschen ein – sowohl in religiöser als auch in allgemeiner Hinsicht. Dazu hat er eine große Zahl von Vortragsreisen rund um den Globus durchgeführt und Schriften herausgegeben, in denen die im Gegensatz zur einfachen Lebensweise differenzierten Vorstellungen der tibeto-buddhistischen Religion zu Fragen der Lebenspraxis, zur Natur des menschlichen Bewusstseins und weiteren existenziellen Fragen erläutert werden. Der Dalai Lama gilt als persönlicher Freund des Christentums, wobei er oftmals Gast im Vatikan war, eine besondere Freundschaft soll ihn mit Papst Johannes Paul II. verbunden haben.
Aufgrund seines regen Interesses an wissenschaftlichen Themen und der Zusammenarbeit mit dem nordamerikanischen Rechtsanwalt Adam Engle und dem chilenischen Neurobiologen und Philosophen Francisco Varela entstand 1990 das in den USA ansässige Mind and Life Institute. Der Dalai Lama ist nach eigener Aussage davon überzeugt, dass Wissenschaft und die buddhistischen Thesen ohne Probleme vereinbar sind.
Der gegenwärtige Dalai Lama besucht im Westen buddhistische Schulen und gibt dort in regelmäßigen Abständen Einweihungen in die buddhistische Lehre und Rituale.
Neben seiner moralischen Autorität hat die Person des 14. Dalai Lama im Westen vor allem den Status eines Botschafters des Friedens. Ihm wurde im Jahre 1989 für seine Bemühungen, mit friedlichen Mitteln auf die Lage in seinem Heimatland Tibet aufmerksam zu machen, der Friedensnobelpreis verliehen.[14]


Beziehungen zum deutschsprachigen Raum
Tenzin Gyatso ist durch Heinrich Harrer, den er mehrmals in Hüttenberg besuchte, mit Kärnten besonders verbunden. 1992 weihte der Dalai Lama den buddhistischen Gebetsraum des Heinrich-Harrer-Museums und beim neunzigsten Geburtstag Harrers 2002 segnete er den neugebauten tibetischen Pilgerpfad Lingkor. Am 14. Mai 2006 besuchte Tenzin Gyatso Hüttenberg, um den Grundstein für ein Tibet-Zentrum zu legen. An der Grundsteinlegung nahmen ca. 5.000 Personen teil.
Ende Juli 2005 war Tenzin Gyatso drei Tage lang zu Gast in Wiesbaden. Dabei wurde ihm der Hessische Friedenspreis verliehen und sein 70. Geburtstag nachgefeiert. Zum Abschluss seines Besuchs hielt er vor ungefähr 20.000 Menschen eine Rede im Wiesbadener Kurpark.


Vom 19. bis 29. Juli 2007 war der 14. Dalai Lama in Hamburg, wo er, unter anderem im Rothenbaumstadion, Vorträge hielt. Zum Schluss einer seiner längsten Auslandsreisen war er in Freiburg im Breisgau, um im dortigen Tibet Kailash Haus, einem tibetischen Gesundheitszentrum, eine Stupa einzuweihen und in der Rothaus-Arena einen Vortrag zu halten.


Vom 20. bis 21. September 2007 besuchte Tenzin Gyatso zum zweiten Mal nach 1998 Münster. Dort erhielt er von der Westfälischen Wilhelms-Universität die Ehrendoktorwürde des Fachbereichs Chemie und Pharmazie für seine Verdienste um die Vermittlung zwischen Religion und Wissenschaft.[15] Dies ist für Gyatso sowohl der erste Ehrendoktor einer deutschen Hochschule als auch der erste aus dem Bereich der Naturwissenschaften. Am zweiten Tag diskutierte er im Schloss Münster mit Vertretern der Graduate Schools und hielt einen Vortrag zum Thema „Globale Verantwortung in Wissenschaft und Gesellschaft“ vor rund 4500 Gästen.[16]
Am 23. September 2007 besuchte Tenzin Gyatso Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrem Amtssitz. Dies war das erste Treffen mit einem deutschen Regierungschef. Die chinesische Regierung kritisierte Merkel für ihre Entscheidung und sagte diverse Treffen mit deutschen Regierungsvertretern ab.[17]
Vom 14. bis 20. Mai 2008 besuchte der Dalai Lama nach einer Einladung der Tibet Initiative Deutschland unter dem Motto „Kein Frieden ohne Menschenrechte“ mehrere Städte, darunter Bochum, Mönchengladbach, Nürnberg, Bamberg und Berlin.[18]


Religiöse Kontroversen
Eine buddhistische Minderheit führt die Verehrung des Gottes Dorje Shugden fort, welche der 14. Dalai Lama abgebrochen hat. Er sieht in Dorje Shugden mittlerweile einen Dämon. 1996 untersagte er Mitarbeitern der exiltibetischen Regierung und den ihm unterstehenden Mönchen und Laien die Praktizierung des Shugden-Kults. Die Illegalisierung dieses Kults gipfelte 1997 in der Ermordung dreier hochrangiger Mönche, welche dem 14. Dalai Lama nahe standen.

Politische Kontroversen
Darstellung der Geschichte Tibets
Kritiker werfen Tenzin Gyatso vor, dass er die Zustände im damaligen Tibet heute noch idealisiert darstelle.[19] Den Kritikern zufolge gehörte den lamaistischen Mönchen zusammen mit einer kleinen Adelsschicht aller Grund und Boden;[2] es gab Leibeigene und Sklaven,[20] die von einer Mönchspolizei überwacht wurden. Auch verstümmelnde Körperstrafen waren häufig.
Dieser auch von den chinesischen Behörden verbreiteten Darstellung [21] widerspricht die tibetische Exilregierung. Es sei „nicht korrekt, die alte tibetische Gesellschaft als Feudalgesellschaft oder Sklavensystem zu bezeichnen“. Tatsächlich sei Tibet „vor der Invasion wesentlich egalitärer als die meisten anderen asiatischen Länder in dieser Zeit“ gewesen.[22]


Autonomie-Forderung, Separatismus-Vorwurf
Tenzin Gyatso setzt sich für die Autonomie Tibets innerhalb der Volksrepublik China ein, was von den Machthabern als Separatismus bezeichnet wird. Am 10. März 1963 verkündete der 14. Dalai Lama eine an demokratischen Prinzipien orientierte Verfassung für die tibetische Exilregierung, die ihn als Staatsoberhaupt betrachtet. Vielen Tibetern geht die Forderung Tenzin Gyatsos nach Autonomie nicht weit genug, sie fordern die volle Unabhängigkeit Tibets.